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Anzeigepflichten

Wer sich versichert, will bei Eintritt eines bestimmten Schadensfalles Ausgleich in Geld erhalten. Wer einen anderen versichert, will sein Risiko abschätzen. Dazu braucht er Angaben des Versicherungsnehmers über Zustand und Verwendung der zu versichernden Sache oder bei Haftpflichtversicherungen zur Gefährlichkeit seines Tuns und dergleichen. Bei Lebens-, Unfall-, Berufsunfähigkeits- und Krankenversicherung geht es um Angaben zur Gesundheit der zu versichernden Person. Der Gesetzgeber drückt das allgemein so aus: Der Versicherungsnehmer hat die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Versicherungsvertrag abzuschließen, erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen (gesetzliche Anzeigepflicht).

Der Versicherer ist der Fachmann, der im Allgemeinen die Risiken besser kennt als der Kunde. Deshalb verlangt der Gesetzgeber, dass der Versicherer detailliert „in Textform“ nach den Umständen fragt. Werden diese Fragen richtig und vollständig beantwortet, macht es das dem Versicherer fast unmöglich, später mit der Behauptung Erfolg zu haben, der Kunde habe ihn arglistig getäuscht. Er habe ihm ein bekanntes Risiko, nach dem nicht ausdrücklich gefragt worden sei, verschwiegen. Umstände, nach denen der Kunde nicht ausdrücklich gefragt wird, darf er in der Regel nicht für erheblich halten und deshalb darüber schweigen.

Wann muss der Versicherungsnehmer seine gesetzliche vorvertragliche Anzeigepflicht erfüllen?

Grundsätzlich dann, wenn er seinen Antrag auf Abschluss des Versicherungsvertrages abgibt. Erfährt er später, dass ein bis dahin unbekanntes höheres Gefahrenrisiko doch vorhanden war, muss er dies ungefragt nicht nachträglich anzeigen. Aber Achtung: Kommt der Versicherungsvertrag nicht nach dem Antragsmodell – Antrag durch Kunden, Annahme des Versicherungsvertrages durch Versicherer – zustande, muss der Kunde auch die bis dahin gestellten Fragen des Versicherers richtig beantworten.

Zu diesen vorvertraglichen Anzeigepflichten können sich nach Vertragserklärung entstehende Anzeigepflichten gesellen. Das ist der Fall, wenn der Versicherungsnehmer nachträglich gefahrerhöhende Umstände geschaffen hat oder schaffen ließ oder wenn solch ein erhöhtes Risiko nachträglich ohne Zutun des Versicherungsnehmers entstanden und ihm bekannt geworden ist (gesetzliche Anzeigepflicht wegen Gefahrerhöhung). Risiko für Versicherer: Gefahrerhöhungen, die bei Vertragsschluss bereits vorhanden aber unbekannt waren, sind auch später nicht anzeigepflichtig.

Zusätzlich zu den gesetzlichen Anzeigepflichten (vorvertragliche oder wegen Gefahrerhöhung) können vertragliche Anzeigepflichten kommen, die dann aber im Versicherungsvertrag klar und verständlich geregelt sein müssen. Deren Verletzung zählt zur Gruppe der Obliegenheitsverletzungen.

Die Sanktionen, die eine Verletzung von Anzeigepflichten bewirken kann, sind je nach Art und Verschuldensgrad unterschiedlich geregelt.

Das können sein: Rücktritt, fristlose Kündigung, fristgebundene Kündigung des Versicherers, Vertragsänderung durch Ausschluss eines Risikos oder Prämienerhöhung, eventuell Leistungsfreiheit, wenn der Versicherungsfall schon eingetreten ist.

Weitgehend entfallen solche Sanktionen, wenn der Versicherer trotz unterbliebener Anzeige Kenntnis von den maßgeblichen Umständen hat. Was der Kunde dem Versicherungsvertreter beim Vertragsgespräch offenbart, ist damit auch dem Versicherer bekannt. Denn der Versicherungsvertreter gilt als „Auge und Ohr“ des Versicherers. Er ist bevollmächtigt, Anzeigen und Erklärungen des Versicherungsnehmers für den Versicherer entgegen zu nehmen. Über diese Empfangsvollmacht hinaus muss sich der Versicherer auch sonstige, versicherungserhebliche Kenntnisse, die der Vertreter anlässlich seiner Vermittlungstätigkeit erlangt - also „dienstliches Wissen“ - zurechnen lassen.

Der Versicherungsvertreter ist also nicht nur Empfangsvertreter, sondern auch Wissensvertreter des Versicherers.

Ein solcher Versicherungsvertreter ist aber nur, wer von einem Versicherer oder einem anderen Versicherungsvertreter (Hauptvertreter, „Generalagent“) damit betraut ist, gewerbsmäßig Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen. Ein Versicherungsmakler ist zwar auch ein gewerbsmäßiger Versicherungsvermittler, er ist aber nicht von einem Versicherer mit der ständigen Vermittlung von Verträgen für diesen betraut. Für ihn gilt die „Auge- und Ohr-Rechtsprechung“ in der Regel nicht.

Ein Versicherungsberater ist kein Versicherungsvermittler. Er ist der Berater und Interessenvertreter des Versicherungsnehmers. Er erhält vom Versicherer keine Provision. Sein Wissen kann dem Versicherer nicht zugerechnet werden.

Wie ist die Beweislage, wenn der Versicherungsvertreter vergessen hat, eine Vorerkrankung des Kunden in den Antragsunterlagen zu dokumentieren.

Beispiel: Im Gespräch über den Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit dem Versicherungsvertreter hat der Kunde – wenn auch beschwichtigend – gesagt, dass er an einer Fettleber leidet. Der Vertreter hat es aber nicht dokumentiert.

Maßgeblich ist zunächst der Inhalt des unterschriebenen Antragsformulars, das eine Privaturkunde darstellt. Danach hat der Antragsteller die Fettleber nicht angegeben. Es ist aber weiter zu fragen, wer das Antragsformular ausgefüllt hat. War es der Versicherungsvertreter, dann hatte er eine Sortierungsfunktion. Er musste aus den Angaben des Kunden aussortieren, welche mitgeteilten Umstände anzeigepflichtig waren und welche nicht. Dann gilt beim Antragsformular die Vermutung, dass die Angaben des Kunden nicht richtig und vollständig aufgenommen wurden.

Wenn der Kunde dem Gericht letztlich durch glaubwürdige Zeugen im Einzelnen genau darlegen und beweisen kann, wie er den Vertreter über seine Vorerkrankung unterrichtet hat, wird nach unserer Erfahrung die gegensätzliche Zeugenaussage des Versicherungsvertreters der Versicherung nicht helfen. Dann wäre nämlich der Versicherung der Beweis für die Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer nicht gelungen und es könnte eine (non-liquet-) Entscheidung zu Ungunsten des Versicherers ergehen.