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Geschwindigkeitsmessung durch Privatunternehmen

Geschwindigkeitsmessung durch Privatunternehmen

Leitsatz:

Geschwindigkeitsmessungen im Rahmen eines Verkehrsordnungswidrigkeitsverfahrens stellen eine ureigene und hoheitliche Aufgabe dar. Bei einer Geschwindigkeitsüberwachung handelt es sich nicht um ein Erwerbsgeschäft, mit welchem ein Gewinn erworben werden soll, sondern einzig und allein um eine Maßnahme zur Sicherstellung der Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr.

Das OLG Rostock kommt im Nachgang auf eine Entscheidung des Amtsgerichtes Parchim zu folgenden Leitsätzen:

1.    Die vertraglich vereinbarte Auswertung der mit standardisierten Messverfahren bei behördlichen Verkehrsüberwachungsmaßnahmen ordnungsgemäß erhobenen und bei der Verwaltungsbehörde verbliebenen Rohmessdaten durch einen privaten Dienstleister ist zulässig und führt für sich genommen zu keinem Beweisverwertungsverbot im weiteren Bußgeldverfahren.

2.    Hegt der Tatrichter Zweifel an einer der Vorgaben des Geräteherstellers und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt im Zuge der Zulassung des standardisierten Messverfahrens entsprechenden ordnungsgemäßen Auswertung der Messdaten durch den privaten Dienstleister, gebietet es die richterliche Aufklärungspflicht, die Richtigkeit der Auswertungsergebnisse durch andere sachverständige Stellen überprüfen zu lassen.

OLG Rostock, Beschluss vom 17.11.2015, 21 Ss OWi 158/15

Sachverhalt:

Der Entscheidung des Amtsgerichtes Kassel lag, wie auch der Entscheidung des OLG Rostock, die Geschwindigkeitsmessung durch einen Privatunternehmer zugrunde.

Beim Amtsgericht Kassel war es durch die Firma Jenoptik mit der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage S 350, welche einen Geschwindigkeitsverstoß des Betroffenen feststellte.

Der Ordnungspolizeibeamte gab bei seiner Vernehmung als Zeuge an, dass, bis das Gericht darauf hinwies, dass die Auswertung durch die Ordnungspolizeibehörde zu erfolgen habe, wie folgt verfahren worden sei: Nach Erreichung einer gewissen Falldatenzahl sei die Ordnungsbehörde per E-Mail seitens des Betreibers darauf aufmerksam gemacht worden, dass man nunmehr auf die Internetseite zugreifen könne.

Dort habe er die unbearbeiteten Übersichtsfotos anschauen und diese dann zur Aufbereitung an Jenoptik versenden können. Bei der Überprüfung der Übersichtsfotos sei oben rechts zu erkennen gewesen, dass die Signatur des Datensatzes ungebrochen sei. Bei der Firma Jenoptik seien die Date sodann aufbereitet und dem Zeugen vorsortiert als verwertbare und unverwertbare Daten zugänglich gemacht worden. Die Daten habe er sich nicht mehr im Detail angeschaut. Es war ihm einfach nicht möglich zu überprüfen, ob die Fotos nach der Aufbereitung durch Jenoptik die gleiche Person auf dem Fahrerfoto darstellte, die auf den Übersichtsfotos zu erkennen war. Auch konnte er nicht mehr überprüfen, ob es ein unbeschädigter Datensatz war oder ob dieser durch Jenoptik manipuliert worden sei, da die diesbezüglichen Signaturvermerke in dem Verfahrensstadium nicht mehr vorhanden waren.

Die unveränderte Datenintegrität überprüfte der Zeuge auch nicht durch einen Vergleich mit dem zuvor an Jenoptik übersandten Ausgangsbild. Letztendlich übertrug der Zeuge die Einschätzung von Jenoptik und die durch ihn objektiv als verwertbar eingestuften Datensätze in das System zur Verfolgung von Verkehrsordnungswidrigkeiten.

Entscheidung des Amtsgerichtes Kassel:

Das Amtsgericht Kassel kommt zu dem Ergebnis, dass keine verwertbare Messung stattgefunden habe. Entscheidend ist für das Amtsgericht Kassel, dass die Messdaten von einem Ordnungspolizeibeamten ausgewertet worden wären, was nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfolgte.

Das Gericht kommt zu der Auffassung, dass durch die durch den Zeugen geschilderte Verfahrensweise kein hoheitliches Verkehrsordnungswidrigkeits-verfahren durchgeführt worden sei. Es seien die Daten von Jenoptik nicht nochmals überprüft worden. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Privatunternehmen lediglich Geld für ihre Arbeit bekommen, wenn das Messergebnis verwertbar ist, ist der Hintergrund der Delegierung solcher Aufgaben lediglich die Einsparung von Kosten, was jedoch nicht zulässig sei, da es sich bei einer Geschwindigkeitsüberwachung nicht um ein Erwerbsgeschäft handle.

Da das Unternehmen lediglich dann einen monetären Ertrag erhalte, wenn die Messung als verwertbar eingestuft wurde, hat das Unternehme ein Eigeninteresse an der Herstellung verwertbarer Ergebnisse, sodass ein Interessenkonflikt bestehe, welcher im Rahmen einer hoheitlichen Maßnahme nicht zu akzeptieren sei. Da somit keine endgültige Abgleichung durch eine Ordnungsbehörde erfolge, sei das Gericht nicht davon überzeugt, dass es sich um unveränderte Daten handle.

Entscheidung des OLG Rostock:

Auf die Entscheidung des Amtsgerichtes Parchim vom 01.04.2015, Az.: 5 OWi 2032/14:

Das Amtsgericht Parchim sprach den Betroffenen frei, da die Rohmessdaten der Geschwindigkeitsüberwachungsanlage rechtlich unzulässig von einem Privatunternehmen im Rahmen eines mit dem Landkreis geschlossenen Dienstleistungsvertrages ausgewertet wurden und anschließend nur die aus den Rohdaten extrahierten Lichtbilder (Fahrzeuge nebst [vergrößertem] Kennzeichen, Foto des Fahrzeugführers) und die Datenleiste mit den Einzeldaten an den Landkreis zurückübermittelt wurden.

Hiergegen hatte die Staatsanwaltschaft ihre Rechtsbeschwerde gewandt.

Das OLG Rostock kommt zu der Überzeugung, dass bei Vorlage der Rohmessdaten und dem Vorwurf des Betroffenen der begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung das Gericht gehalten sei, eine erneute Auswertung, notfalls durch einen Sachverständigen, vorzunehmen. Insbesondere sei es nicht zutreffend, dass das erstinstanzliche Gericht von einem Beweisverwertungsverbot bezüglich der aufbereiteten Messdaten ausgegangen sei, weil die Auswertung an der Messstelle von einer Verkehrsüberwachungsanlage erhoben wurde, ohne dass es eine Rechtsgrundlage gab und ohne dass Kontrollmöglichkeiten vorhanden waren.

Selbst bei Zugrundelegung dieser Rechtsauffassung des erstinstanzlichen Gerichtes sei selbiges gehalten, nach seiner Verpflichtung zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung (§ 46 Abs. 1 OWiG, § 244 Abs. 2 StPO) eine erneute und prozessordnungsgemäße Auswertung der weiterhin vorhandenen Rohdaten mittels der dafür zugelassenen Software selbst vorzunehmen oder durch dafür sachverständige Dritte durchführen zu lassen. Das Gericht weist darauf hin, dass dies durchzuführen sei, da durch den Tatrichter ein Beweiserhebungs- oder –verwertungsverbot bezüglich der Rohdaten begründet worden sei.

Das Gericht weist darauf hin, dass die Mitarbeiter des privaten Dienstleisters von den Verwaltungsbehörden insoweit als Sachverständige oder sachverständige Zeugen in Anspruch genommen werden könnten, gem. § 46 Abs. 2 OWiG i. V. m. §§ 72 ff., § 161 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Diese Auswertung durch einen für derartige Aufgaben herangezogenen Sachverständigen könne das Gericht dann eigenverantwortlich prüfen und kontrollieren. Das Gericht werde sich, ebenfalls wie die Verwaltungsbehörde, im Vorfeld davon zu überzeugen haben, dass die Auswertung der Rohdaten beim privaten Anbieter durch dafür geschultes und regelmäßig hinsichtlich ihrer ordnungsgemäßen Aufgabenerledigung überwachten Mitarbeiter unter Einhaltung der dafür vorgeschriebenen Verfahrensweisen mittels eines zugelassenen standardisierten Messverfahrens mit von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt genehmigten Software erfolgt.

Soweit dies erfolgt sei, können die Verwaltungsbehörden von der Richtigkeit des Ergebnisses ausgehen. Selbst, wenn diese Handlung erlasswidrig sei, komme es nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, da dieser Erlass, der allein dem öffentlichen Interesse der Organisation des Messvorganges und seiner Auswertung diene, ausschließlich im Innenverhältnis der Verwaltungs- und Aufsichtsbehörde Bindungswirkung entfalte.

Bedeutung für die Praxis:

Das Urteil des Amtsgerichtes Kassel hat in dem Bereich der Geschwindigkeitsmessung durch private Dienstleister zu erheblichen Auswirkungen geführt, ebenso wie das Urteil des Amtsgerichtes Parchim.

Die vorinstanzlichen Richter machten sehr deutlich, dass das Aufstellen dieser durch private Dienstleister betriebenen Geschwindigkeitsmessanlagen offensichtlich lediglich dem monetären Interesse des Aufstellers und der Gemeinden gelte und nichts mit einer staatlichen Verkehrsüberwachung zu tun habe.

Diese Argumentation stieß lange Jahre auf taube Ohren bei den Gerichten.

Es war zu erwarten, dass aufgrund der „Einnahmesituation“ aus Sicht der Behörden eine anderweitige Entscheidung herbeizuführen war.

Zu berücksichtigen ist natürlich, dass nach der Ansicht des OLG Rostock ein Unternehmen, welches mit verwertbaren Fotos einen Gewinn erzielt, die Richtigkeit seiner Auswahl und damit seiner Gewinnerzielung selbst noch als sachverständiger Zeuge gegenüber den Verwaltungsbehörden bestätigen soll. Worin da noch eine Unabhängigkeit zu sehen ist mit der Auffassung des Amtsgerichtes Kassel, ist nicht mehr nachvollziehbar.

In der Praxis hat sich herausgestellt, dass vom Gericht eingesetzten Sachverständigen oftmals lediglich die Überprüfung der Wartungsprotokolle und die Hardware-Überprüfung bei der Begutachtung aufgegeben wird. Es ist darauf zu achten, dass die Originalbedienungsanleitung vorgelegt wird und der Sachverständige Einblick in die Software und die tatsächliche Auswertung der einzelnen Vorgänge erhalten muss. Nur dann kann er die Ordnungsgemäßheit überprüfen, wobei beides nicht durch die nach dem OLG Rostock „eigenen Sachverständigen oder sachverständigen Zeugen des Unternehmens“ vorgeprüft wird.

Interessant ist auch die Prüfung, ob für solche Messvorgänge eine Ermächtigungsgrundlage vorliegt. Dies ist in den einzelnen Bundesländern durchaus unterschiedlich.

Amtsgericht Kassel, Urteil vom 14.04.2015 – Az.: 385 OWi - 9863 Js 1377/15