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Insolvenzreife

Hat es der Geschäftsführer einer GmbH verabsäumt, bei Insolvenzreife Insolvenzantrag zu stellen, so geriet er in der Vergangenheit stets in eine missliche Lage. Führte er keine Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung ab, drohte ihm die persönliche Haftung und ein Strafverfahren. Zahlte er keine fällige Umsatzsteuer oder führte er einbehaltene Lohnsteuer nicht an das Finanzamt ab, drohte ihm ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung.

In beiden Fällen setzte er sich der persönlichen Haftung gemäß der Abgabenordnung aus. Führte er die Arbeitnehmeranteile zu den Sozialversicherungsbeiträgen, Lohnsteuer und Umsatzsteuer aber ab, so drohte ihm eine persönliche Inanspruchnahme durch den Insolvenzverwalter. Immerhin hatte er nach der Insolvenzreife noch Zahlungen zu Lasten des Gesellschaftsvermögens vorgenommen und so gegebenenfalls die verteilungsfähige Vermögensmasse gemindert. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun für Klarheit gesorgt - Urteil vom 25. Januar 2011 - Aktenzeichen II ZR 196/09. Danach kann nunmehr von folgender Rechtslage ausgegangen werden:

Der Geschäftsführer haftet nicht, wenn er nach Insolvenzreife Steuerrückstände oder erst ab diesem Zeitpunkt fällig werdende Steuerforderungen bezahlt.

Der Interessenkonflikt, in dem sich der Geschäftsführer befindet, ist dahingehend aufzulösen, dass es ihm gestattet ist, sich durch Zahlung aus dem noch vorhandenen Gesellschaftsvermögen von der persönlichen Haftung für die Steuerschuld zu befreien. Gegebenenfalls kann er auch die Einstellung eines Verfahrens durch Zahlung trotz Insolvenzreife herbeiführen.

Werden Sozialversicherungsbeiträge nach Insolvenzreife an die Kassen gezahlt, so ist zu differenzieren:

Hinsichtlich der Arbeitnehmeranteile ist es mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes in Einklang zu bringen, dass diese einbehaltenen Arbeitnehmeranteile trotz Insolvenzreife zur Sozialversicherung abgeführt werden. Auch hier ist es dem Geschäftsführer nicht zumutbar, keine Zahlung zu leisten. Sonst würde er gegen sich selbst eine persönliche Schadenersatzverpflichtung begründen und die Voraussetzungen für die Einleitung eines Strafverfahrens herbeiführen. Das gilt sowohl für erst ab Insolvenzreife fällig werdende Arbeitnehmerbeiträge, als auch für solche, die bereits vor Insolvenzreife fällig geworden sind.

Nach Auffassung des BGH gehört es aber nicht mehr zur Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes, Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife zu bezahlen. Eine Strafbarkeit nach § 266 a Strafgesetzbuch besteht lediglich für das Nichtabführen der Arbeitnehmeranteile.

Hat der Geschäftsführer gleichwohl Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung bezahlt, muss genauer nachgeprüft werden.

Ist durch die Zahlung die verteilbare Vermögensmasse tatsächlich geschmälert worden? Nur dann wäre eine Inanspruchnahme des Geschäftsführers möglich. Erfolgte die Zahlung von einem debitorisch geführten Geschäftskonto, ist in Erwägung zu ziehen, eine Schmälerung der verteilbaren Vermögensmasse zu verneinen. In diesem Fall ist es ja nur zu einem Austausch des Gläubigers gekommen.

Der Gläubiger „Sozialversicherungsträger“ wurde gegen den Gläubiger „Kreditinstitut“ ausgetauscht. Dann muss weiter geprüft werden, über welche Sicherheiten das Kreditinstitut verfügt hat. Nur wenn keine freien Sicherheiten mehr zur Verfügung standen, ist von einem unschädlichen Gläubigertausch auszugehen. Standen noch freie Sicherheiten zur Verfügung, aus denen eine abgesonderte Befriedigung vorzunehmen ist, führt dies dazu, dass eine gleichmäßige Verteilung der Vermögensmasse nicht möglich ist. Durch die abgesonderte Befriedigung verringert sich die gleichmäßig verteilbare Vermögensmasse, so dass in diesem Fall eine Haftung des Geschäftsführers in Betracht kommt. 

Bei der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen nach Insolvenzreife ist weiter zu klären, ob die Zahlung freiwillig erfolgte oder etwa auf Grundlage einer Kontenpfändung.

Im Fall einer Kontenpfändung scheidet eine persönliche Haftung des Geschäftsführers aus, da er die Zahlung dann nicht freiwillig geleistet hat, sondern die Zahlung auf Grundlage der Vollstreckungsmaßnahme „Kontopfändung“ bewirkt wurde.